Die Durchsetzungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei war eine der wichtigsten und meist verfolgten Abstimmungen der letzten Jahre. Vor allem auf Facebook und Twitter wurde heftigst mobilisiert. Denn immerhin ging es bei der Abstimmung am 28. Februar um ein Viertel derBevölkerung, die keinen Schweizer Pass besitzen. Am Abend der Abstimmung konnten sie dann doch aufatmen. Die Initiative wurde mit 59 Prozent abgelehnt. So sicher war dieser Ausgang in den Wochen zuvor jedoch nicht. Die von gfs.bern und 20 Minuten veröffentlichten Prognosen sagten ein ganz anderes Ergebnis vorher. Wäre die Abstimmung einen guten Monat früher gewesen, so hätten laut gfs.bern-Prognosen 51 Prozent der Wähler die Initiative angenommen. Mitte Januar noch hätten sogar 61 Prozent eine Ja-Stimme abgegeben. Zu diesem Zeitpunkt schien sich auf Twitter das Blatt schon gewendet zu haben. Die Stimmen gegen die Initiative waren deutlich lauter als die dafür.
Die Ende 2015 lancierte Gegenkampagne mobilisierte die eidgenössische Bevölkerung und rüttelte die vom Wahlkampf erschöpften Politiker wach. Eine Gruppe junger Erwachsener setzte sich das Ziel, die Initiative abzulehnen und kämpfte für eine rechtsstaatliche Schweiz mit Gewaltentrennung und Beachtung der Menschenrechte. Aus Spenden finanziert führten sie eine Kampagne, die den Dialog mit der Zivilbevölkerung suchte und grösstenteils über die sozialen Medien aufklärte und mobilisierte. Noch nie zuvor hat eine Kampagne so viel Aufmerksamkeit auf Facebook, Twitter und Co. erreicht. In den letzten vier Wochen vor der Abstimmung erschienen über 23’000 Tweets zur Durchsetzungsinitiative. Das sind mehr als im gesamten Wahlkampf zu den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015.
Doch nicht nur die Zivilbevölkerung und Kampagnenmitglieder waren auf Twitter aktiv. Auch manch ein Politiker wurde von der wandelnden Stimmung im Twitter-Land gepackt und involvierte sich so in der Abstimmungskampf. Die Operation Libero hatte die Kampagne gestartet, da sie aus der Politik die Mobilisierung gegen die Initiative vermisste. Die partielle Beteiligung von Politikern auf Twitter war somit ein erster kleiner Erfolg. Auf Twitter werden gewöhnlich keine Prognosen gestellt. Was wäre aber wenn man den Traffic und die Einstellung zur Durchsetzungsinitiative auf Twitter anhand von Hashtags messen würde. In meinem Datensatz sind alle Accounts von Politikern gesammelt inklusive ihrer Tweets. Eine Suche nach den Hashtags #DSI, #DSInein und DSIja (unterschiedliche Schreibweisen wurden beachtet) im Zeitraum vom 1. Oktober 2015 bis 1. März 2016 ergab, dass knapp ber 7’000 Tweets zum Thema geschaltet wurden. In Bild 1 sind die Tweets nach Tagen dargestellt. Sehr auffällig ist, dass die Tweets mit dem #DSIja kaum zu sehen sind. Dagegen etablierte sich das #DSInein ab Ende Dezember stark und hatte selbstverständlich am Tag der Abstimmung seinen Höhepunkt. Das #DSI wird ganz klar am häufigsten verwendet. Wahrscheinlich ist, dass es in einem neutralen Tweet vorkommt, das einen informierenden Ton hat. Zudem beinhalten die gesammelten #DSI auch die #DSInein und #DSIja.
Interessant ist nun, zu schauen, inwiefern sich die Tweets mit den Prognosen von gfs.bern und 20 Minuten vergleichen lassen. Da es zwischen dem 7. November 2015 und dem 17. Februar 2016 fünf Veröffentlichungen von Prognosen gab, habe ich die Tweets pro Tag ebenfalls gruppiert. Somit gibt es fünf Gruppen der Tweets für die Prognosen und eine für die Abstimmung. Um einen prozentualen Wert zu bekommen, habe ich die #DSI als 100 Prozent gesetzt und die Anzahl der #DSInein Tweets durch die #DSI Tweets geteilt. Gleiches wurde für #DSIja durchgeführt. Die überbleibenden Prozent, sind als Unentschlossene gruppiert und werden hier nicht weiter beachtet. In Bild 2 wird der der Verlauf der Prognosen parallel zum Verlauf der gruppierten Tweets dargestellt. Da es nur wenige #DSIja unter den Politikern gab, ist die Kurve auch in Prozent umgerechnet sehr schwach und bewegt sich nah an der x-Achse. Sie schwankt zwischen 0 und 2 Prozent und ist daher wenig repräsentativ, wenn man sie mit den Prognosen vergleicht.
Die Kurven der Nein-Prognosen und der #DSInein verlaufen dafür sehr ähnlich. Zum Zeitpunkt der ersten veröffentlichten Prognose gab es noch keine Tweets zum Thema, jedoch nahm der Anteil der Nein-Tweets in den folgenden Monaten stark zu. Es ist zu sehen, dass zwischen den Prognosen am 27. Dezember 2015 und 12. Januar 2016 die #DSInein-Kurve von 13 Prozent auf 47 Prozent enorm anstieg. Eine Erklärung könnte sein, dass die Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf am 22. Dezember 2015 die Gegenkampagne von Operation Libero offiziell im Namen des Bundesrates unterstützte und damit das Thema auch unter den Politikern erhöht verkehrte. Auch die Vorkommnisse der Kölner Silvester-Nacht könnten zur vermehrten Nennung von #DSInein geführt haben – ganz nach dem Motto: Jetzt erst recht nicht! Hier ist auffällig, dass vonseiten der DSI-Fürsprecher kein #DSIja erschienen ist. Der erste #DSIja-Tweet erscheint am 12. Januar 2016. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Initiatoren der Durchsetzungsinitiative nach den Ereignissen in Köln die Situation ausnutzen und eine #DSIja-Welle starten. Denn es gab in Deutschland und auch in der Schweiz jede Menge Menschen, die nach der Silvesternacht für härtere Massnahmen gegen kriminelle Ausländer plädierten. Stattdessen dominierte das Thema wahrscheinlich nur die primitiven Stammtischgespräche und die SVP verpasste eine Gelegenheit, um sich in der Social Media Welt einen einflussreichen Namen zu machen.
Da die Twitter-Plattform generell ins politisch linke Lager und in urbane Gegenden verzerrt ist, war eine Dominanz der #DSInein zu erwarten. Allerdings war nicht zu erwarten, dass die Schlucht zwischen den DSI-Gegnern und DSI-Befürwortern in Form von Hashtags so gross sein würde. Die Befürworter scheinen entweder grosse Hashtag-Verweigerer zu sein oder wissen schlicht nicht wie und weshalb man diese einsetzt. Was das #DSI angeht, so wurde es erstaunlicherweise am meisten von Samuel Balsiger (SVP) verwendet. In seinen Tweets tritt er stark für die Durchsetzungsinitiative ein, jedoch nutzt er nur #DSI und niemals #DSIja. Bild 3 zeigt die Accounts an, die mehr als 50 mal #DSI in ihren Tweet einbetteten. Immerhin sind dort 16 Accounts und alle grossen Parteien vertreten. So zeigt sich, dass das Thema Durchsetzungsinitiative lebhaft diskutiert wurde. Und das haben wir nicht zuletzt der leidenschaftlich geführten Gegenkampagne zu verdanken.
Vielleicht sähe das Ergebnis der Twitter-Prognosen anders aus, wenn man die #DSI von SVP-Accounts alle als ein klares Ja zur DSI einordnen würde. Da die Partei die Initiative eingereicht hat, steht sie geschlossen dahinter. Schaut man sich allerdings an, wie häufig alle Accounts twitterten, ist zu sehen, dass nur ungefähr jeder fünfte Tweet von einem SVP-Account stammt. Das bestätigt wieder, dass Twitter grösstenteils von politisch linken und jungen Stadt-Menschen genutzt wird und die Wähler der SVP bekanntlich ein höheres Durchschnittsalter haben und in ländlichen Gegenden wohnen. Momentan kann man mit Twitter also noch keine repräsentativen Prognosen erstellen. Zumindest nicht mit den Accounts der Politiker. Interessant wäre es, eine solche Studie mit den Accounts der Schweizer Zivilbevölkerung durchzuführen. Denn diese hat schliesslich den Kampf geführt und gewonnen!