Nur die wenigsten Bundesräte drücken sich auch so volksnah aus, wie sie sich geben

Damit das Gesagte beim Publikum ankommt, hilft gute Rhetorik, die richtige Wortwahl und ein nicht zu gehobenes Sprachniveau. Eine Analyse von 949 Bundesratsreden zeigt, welche Ratsmitglieder besonders einfache Reden halten und wer das grösste Vokabular braucht.

Auch die beste Rede bringt nur wenig, wenn sie nicht verstanden wird. (Bild: Alessandro Feller)

Bundesräte sind an Volksfesten, Messen, Vereinsversammlungen oder Bundesfeiern gefragte Gäste. Gross ist die Ehre, wenn sich ein Regierungsmitglied dann noch die Zeit nimmt, um persönlich eine Ansprache zu halten. Gemeinhin wird diesen öffentlichen Auftritten grosse Beachtung geschenkt, und dies obwohl die Bundesräte nur selten einmal für rhetorische Sternstunden sorgen. Unvergessen bleibt beispielsweise Adolf Ogis Neujahresansprache 2000 vor dem Lötschbergtunnel in Kandersteg. Im Schneegestöber liest der damalige Bundespräsident neben einem Tannenbäumchen mit grosser Mühe seine französische Rede vom Teleprompter ab und wünscht der Bevölkerung ein frohes neues Jahr. Ebenfalls in das kollektive Gedächtnis dürfte sich die «Bündnerfleisch-Rede» von Hans-Rudolf Merz gebrannt haben. Bei einem seiner letzten Auftritte im Ratsplenum stolperte er in einer in Beamtendeutsch verfassten Stellungnahme zur Verzollung von gewürztem Fleisch über das Wort «Bündnerfleisch». Prustend begann der ehemalige Finanzminister loszulachen, was ihm spontanen Applaus und Medienaufmerksamkeit bis weit über die Landesgrenzen hinaus bescherte.

Auch Johann Schneider-Ammann sorgt immer wieder für Schmunzler. Der abtretende Wirtschaftsminister ist bekannt für seinen monotonen Vortragsstil, seine sperrige Ausdrucksweise und für die rhetorische Distanz zu seinem Publikum. Er gilt bei vielen deshalb nicht als der beste Redner. Tragisch ist das natürlich nicht. An Anlässen, bei denen man hauptsächlich eine Repräsentativaufgabe wahrnimmt, gelingen einem in aller Regel keine Worte für die Ewigkeit. Trotzdem dürfte man von einem Regierungsmitglied ein gewisses Mass an Redegewandtheit erwarten, schliesslich besteht eine der Hauptaufgaben der Bundesräte darin, die Öffentlichkeit über die Ratsgeschäfte aufzuklären und den Staat gegen Aussen zu repräsentieren.

Eloquenz umfasst neben einem sicheren Auftreten, guter Artikulation und der Metaphorisierung der Sprache auch die Wortwahl und das Sprachniveau. An den letzten beiden Punkten knüpft der vorliegende Beitrag an. Mittels einer quantitativen Textanalyse wurden 949 deutschsprachige Bundesratsreden auf ihre Textkomplexität und Wortwahl hin analysiert.


Die obenstehende Grafik zeigt die Textkomplexität der untersuchten Bundesratsreden. Gemessen wurde sie anhand eines Lesbarkeitsindexes (siehe Infobox), wobei höhere Werte eine schwierigere Textkomplexität darstellen und tiefe Werte für gut verständliche Texte stehen. Vergleicht man die Regierungsparteien, scheinen die FDP- und CVP-Bundesräte vermehrt schwierige Reden zu halten. Dies im Unterschied zu ihren KollegInnen aus der SP oder der SVP. Des Weiteren ist ein leicht abnehmender Trend über die Jahre hinweg zu verzeichnen – die öffentlichen Ansprachen scheinen mit der Zeit einfacher verständlich geworden zu sein. Diese Vermutung kann mit Zahlen belegt werden: Die Textkomplexität nimmt pro Jahr durchschnittlich um 0.28 Indexpunkte ab, wobei der Unterschied statistisch signifikant ist.

Flesch-Reading-Ease

Der Lesbarkeitsindex Flesch-Reading-Ease, auch Flesch-Grad genannt, ist ein numerischer Wert für die Lesbarkeit eines Textes. Ursprünglich wurde er für die englische Sprache entwickelt. Wird jedoch die Berechnungsformel angepasst, kann er auch auf deutsche Textquellen angewendet werden. Für die deutsche Sprache berechnet er sich aus folgender Formel:

FRE = 180 – dSL – (58.8 ⋅ dSpW)

dSL = Die durchschnittliche Satzlänge ergibt sich, indem die Anzahl der Wörter im Text durch die Anzahl der Sätze des Textes dividert wird.

dSpW = Die durchschnittliche Silbenanzahl pro Wort ergibt sich, indem die Silbenzahl des gesamten Textes durch die Anzahl der Wörter im Text dividiert wird.

Der besseren Verständlichkeit halber wurde der Index für diese Analysen invertiert, sodass Texte mit Werten von 0-10 für 11-jährige Schüler (leicht), solche mit Werten von 30-40 für 13-15-jährige Schüler (mittel) und Texte mit Werten von 70-100 für Akademiker (schwer) verständlich sein sollten.

CVP und FDP mit sehr komplexen Reden

Obwohl sich die meisten Bundesratsreden jeweils an ein spezifisches Publikum richten, ist ihr Inhalt aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips an die gesamte Bevölkerung adressiert. Aus diesem Grund sollte eine Rede nicht zu schwer verständlich sein. Ein Blick auf die nächste Grafik bestärkt die vorgängig geäusserte Vermutung, wonach die Vertreter der bürgerlichen Mitteparteien schwierige Reden halten. Rund 84 Prozent der Ansprachen der FDP-Bundesräte sind in schwieriger Sprache verfasst. Lediglich circa 14,5 Prozent sind mittelschwerer Natur und für eine breite Masse gut verständlich. Mit einer durchschnittlichen Textkomplexität von 56,27 rangiert die FDP zudem auf dem zweiten Platz. Im Parteivergleich sind nur die Reden der CVP – also diejenigen von Doris Leuthard – noch komplizierter (durchschnittliche Textkomplexität: 56,76). Die Verkehrsministerin hält gut 83 Prozent ihrer Reden auf einem hohen Sprachniveau.


Die Vertreter der SVP stechen mit einem unterdurchschnittlich tiefen Anteil mittelschwerer Reden heraus. Rund 47 Prozent ihrer Ansprachen sind so verfasst, dass sie für die Allgemeinheit gut verständlich sind. Bezogen auf die Textkomplexität scheint die Volkspartei ihrem Namen also treu zu bleiben. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit fällt aber auf, dass ein Grossteil der analysierten Ansprachen sehr komplex ist. 691 der 961 Bundesratsreden können als schwierig qualifiziert werden, bloss deren 19 sind in mittlerer Sprachschwierigkeit verfasst. Leichte Reden fehlen im Textkorpus gänzlich.

 

Maurer und Berset halten die einfachsten Ansprachen

Auf Ebene der Verfasser sind es vor allem der Fribourger Alain Berset und der jetzige Vorsteher des eidgenössischen Finanzdepartements Ueli Maurer, die sich mit den grössten Anteilen an mittelschweren Reden von ihren Kollegen abgrenzen. 13 der 32 Ansprachen Bersets sind mittelschwer und der als volksnah geltende Ueli Maurer hielt die Hälfte seiner Reden und Referate auf dieser Schwierigkeitsstufe. Hans-Rudolf Merz hingegen hält die schwierigsten Reden. 113 seiner insgesamt 124 untersuchten Reden sind von schwieriger Textkomplexität, das entspricht einem Anteil von rund 91 Prozent. Auffällig sind zudem die Reden von Eveline Widmer-Schlumpf. Sie ist die einzige der MagistratInnen, die gleichzeitig den grössten Anteil an mittelleichten sowie sehr schweren Texten aufweist.


Betrachtet man den durchschnittlichen Reading-Ease-Index der einzelnen Bundesratsreden, wird erkennbar, dass es wieder Ueli Maurer und Alain Berset sind, die mit Werten rund um 49 Indexpunkten die simpelsten Reden halten. Die Ansprachen des ehemaligen Energieministers Moritz Leuenberger, welcher als ausgezeichneter Redner gilt, weisen mit 51,73 ebenfalls einen unterdurchschnittlichen Lesbarkeitsindex auf. Leuenberger rangiert an dritter Stelle und bedient sich einer deutlich einfacheren Sprache als zum Beispiel Doris Leuthard, die ebenfalls als gute Rednerin bekannt ist. Im Vergleich der Bundesräte hält die Aargauerin durchschnittlich die zweitschwierigsten Ansprachen.


Die schwierigste analysierte Rede stammt aus der Feder von Hans-Rudolf Merz. Mit rund 15 Worten pro Satz, 2.38 Silben pro Wort und einer Textkomplexität von 73,9 gilt sie als sehr schwierig und müsste laut der Reading-Ease-Klassifizierung lediglich für Akademiker verständlich sein. Auf der anderen Seite, und nach dem oben Gesagten nicht weiter erstaunlich, sind es die SVP-Bundesräte, welche die drei einfachsten Reden gehalten haben. Samuel Schmids Trauerrede „Petrus hat einem guten Mann die Tür geöffnet“ aus dem Jahr 2008 ist mit einer Textkomplexität von 29,4 Indexpunkten die einfachste.


Berset punktet mit grösstem Vokabular

Auch die Wortwahl ist ein Faktor für rhetorische Qualitäten. Wer sprachliche Eintönigkeit in seiner Rede verhindern möchte, wählt am besten ein breites Vokabular. Eine Analyse der einzigartigen Worte zeigt, dass Alain Berset mit 3526 unique words – also Wörtern, die in seinen Reden nur einmal vorkommen – das grösste Vokabular aller MagistratInnen benützt. Da jeweils nur die ersten 12’209 Worte eines jeden Ratsmitgliedes untersucht wurden und sich die Analyse lediglich auf die öffentlichen Bundesratsreden beschränkt, sind diese Ergebnisse natürlich nicht als absolut und allgemeingültig zu betrachten und sollen den tatsächlichen Wortschatz nicht in Frage stellen.


Als Referenz wurden zusätzlich die letzten 20 Reden der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Untersuchung miteinbezogen. Erstaunlicherweise ist nur jedes fünfte von ihr gebrauchte Wort einzigartig. Dies verwundert, zumal sie die einzige Person ist, deren Muttersprache Hochdeutsch ist. Ihr relativ «schlechtes» Abschneiden könnte damit erklärt werden, dass nicht wenige Reden der Schweizer Ratsmitglieder mit italienischen, französischen und teils rätoromanischen Worten oder Helvetismen gespickt sind und sich dadurch der Anteil einzigartiger Wörter erhöht.

Wer ist nun der/die beste RednerIn? Betrachtet man die Wortwahl sowie die Textkomplexität können Alain Berset, Samuel Schmid und Moritz Leuenberger als gute Redner qualifiziert werden. Rund jedes dritte von ihnen gebrauchte Wort ist einzigartig und alle bedienen sich eines nicht allzu gehobenen Sprachniveaus.

Daten

Die in dieser Analyse berücksichtigten Bundesratsreden stammen von der Medienseite der Schweizer Bundesregierung und wurden mittels Webscraping beschafft. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 13. Februar 2004 bis zum 27. Januar 2018. Reden, welche auf anderen Departementsseiten publiziert sind, wurden nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund ist zum Beispiel der ehemalige Bundesrat Christoph Blocher nicht im Sample, sämtliche seiner Reden sind auf der Internetseite des EJPD veröffentlicht. Ähnliches gilt für Simonetta Sommaruga und Guy Parmelin. Der Grossteil ihrer Ansprachen sind nicht auf admin.ch zu finden. Um Verzerrungen in den Ergebnissen zu vermeiden, wurde das neuste Bundesratsmitglied ebenfalls aus der Analyse ausgeschlossen. Die Anzahl Reden Ignazio Cassis‘ ist bis anhin zu gering. Die deutschsprachigen Reden wurden sodann mithilfe eines Spracherkennungs-Algorithmus identifiziert.

Informationen zum Beitrag

Blogbeitrag im Rahmen des Forschungsseminars «Politischer Datenjournalismus». Eingereicht am 27.05.2018. Der Textkorpus und das R-Skript können auf Anfrage beim Autor bezogen werden.

 

Anzahl Worte: 1091 exkl. Infoboxen

Verfasser: Alessandro Feller, Matr. Nr: 11-720-190 | alessandro.feller@uzh.ch

Dozierende: Dr. des. Bruno Wüest und Alexandra Kohler.

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