Wo am meisten für Tagesstrukturen ausgegeben wird

Die Gemeinden im Kanton Zürich sind verpflichtet, bedarfsgerechte Tagesstrukturen anzubieten. Eine Analyse der Finanzdaten macht klar, dass diese Pflicht äusserst unterschiedlich umgesetzt wird.

Ob es um die verbesserte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, die Standortattraktivität von Gemeinden oder – wie erst kürzlich dank SVP-Politiker Toni Bortoluzzi – um den IQ von Heranwachsenden geht: über externe Kinderbetreuung wird gerne, häufig und durchaus hitzig diskutiert. Umso wichtiger ist es, mit den Fakten zu diesem Thema vertraut zu sein.

Grundsätzlich lässt sich zwischen der Betreuung von Kindern im Vorschul- und im Schulalter unterscheiden. Einrichtungen für Erstere bezeichnet man gemeinhin als Kinderkrippe, die Betreuung von Schulkindern fällt in den Bereich der Tagesstrukturen.

Im Kanton Zürich sind Gemeinden verpflichtet, für Kinder vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe I «dem Bedarf entsprechende» Tagesstrukturen anzubieten. Ein Blick auf die Finanzdaten zeigt, dass sich der Bedarf an Betreuungsangeboten zwischen verschiedenen Gemeinden entweder stark unterscheidet oder die Verpflichtung nicht in allen Gemeinden gleich ernst genommen wird. Denn wie viel im Kanton für Tagesstrukturen ausgegeben wird, hängt stark davon ab, wo man wohnt.

Hinweis: Die gestrichelte blaue Linie zeigt den kantonalen Median an. (Daten: Statistisches Amt Kanton Zürich)

Die Kantonshauptstadt als Überfliegerin

Absoluter Spitzenreiter ist wenig überraschend die Stadt Zürich. Wie deutlich der Vorsprung auf den übrigen Kanton ist, erstaunt dann doch. Pro Schulkind gab die Stadt Zürich von 2010 bis 2017 jährlich im Schnitt beinahe 2700 Fr. für Tagesstrukturen aus. Das ist drei Mal mehr als Rüschlikon, die Gemeinde mit den zweithöchsten Ausgaben.

Laut Helenea Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons, biete die Stadt Zürich mit Frühförderung, verschiedenen pädagogischen Richtungen und mehrsprachiger Betreuung in der Tat ein ausserordentlich breit abgedecktes Betreuungsangebot. Die Stadt sorge dafür, dass der Kanton bezüglich Kinderbetreuung im schweizweiten Vergleich gut dastehe. Ohne die Stadt wäre der Kanton im Mittelfeld anzusiedeln, ist Trachsel überzeugt.

An dieser Dominanz wird sich so schnell vermutlich nichts ändern. Die Stadt ist bestrebt, ihr Angebot weiter auszubauen. Mit dem Projekt «Tagesschule 2025» sollen künftig alle Stadtzürcher Schulen als freiwillige Tagesschulen geführt werden, welche die Kinder über den Mittag betreuen, falls sie am Nachmittag Unterricht haben. Zurzeit läuft ein Pilotprojekt mit sechs Schulen, im Verlauf dieses Jahres sollen 24 weitere folgen, wie das Stimmvolk im vergangenen Sommer beschlossen hat.

Überraschungen in der Peripherie

Auffällig viele Gemeinden mit hohen Ausgaben für Tagesstrukturen finden sich am Seeufer wieder. Dabei ist mit Küsnacht und Herrliberg sowohl die Gold- als durch Rüschlikon und Oberrieden auch die Pfnüselküste in den Top 10 der spendabelsten Gemeinden vertreten. Zwei Trends kann man daran wunderbar erkennen. Der erste Trend: Gemeinden in Zentrumsnähe geben eher mehr Geld für Tagesstrukturen aus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Gemeinden, die weiter von der Kantonshauptstadt entfernt oder schlecht erschlossen sind, bedeutend weniger für die Schulergänzende Betreuung aufwenden.

Zu einem ähnlichen Schluss kam auch der bis 2014 von der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann erhobene Betreuungsindex. Dieser bezog neben den Tagesstrukturen auch die Vorschulische Betreuung mit ein und untersuchte neben den Ausgaben zusätzlich die Anzahl verfügbarer Betreuungsplätzen sowie die Qualität der Einrichtungen. Darin erwies sich das Angebot in den Städten wie Winterthur, Uster oder Wetzikon jeweils als gut, je weiter man jedoch in die Peripherie geht, desto tiefer wird der Betreuungsindex.

Es ist möglich, dass in traditionelleren, ländlicheren Gebieten gar nicht dasselbe Angebot erwünscht ist wie in den Städten. Anstatt die Kinder morgens abzugeben und abends wieder abzuholen, möchten die Eltern vielleicht selbst die Betreuung übernehmen. Das sei durchaus denkbar, bestätigt so auch Trachsel. Sie wendet aber ein, dass es für Frauen in der Peripherie an Teilzeitarbeitsmöglichkeiten mangelt. So bleibt ihnen nicht viel mehr übrig, als auf die Kinder aufzupassen.

Aus dem Raster fallen Adlikon und Dättlikon. Zwei kleine, ländliche Gemeinden, die eher traditionelle Parteien wählen, aber bezüglich Tagesstrukturausgaben zu den Top 10 des Kantons gehören. Wie kommt das? Die Antwort führt uns wieder zum Thema Tagesschule zurück. Denn neben der normalen Primarschule bieten beide Gemeinden eine Schule mit integrierter Betreuung an. Das ist bemerkenswert, gibt es doch im Kanton Zürich erst seit einem halben Jahr überhaupt eine klare gesetzliche Grundlage für Tagesschulen. Für eine Stellungnahme war bisher leider weder in Adlikon noch in Dättlikon jemand erreichbar.

Mit Geld ist alles einfacher

Der zweite Trend, der sich bereits an der Seeküste ablesen lässt: Wer Geld hat, gibt Geld aus. Das wird umso deutlicher, wenn man die Steuerkraft pro Kopf der Zürcher Gemeinden mit ihren Ausgaben für Tagesstrukturen vergleicht. Wohlhabende Gemeinden geben demnach tendenziell deutlich mehr für Tagesstrukturen aus als ärmere. Das ist nicht besonders überraschend. Es ist bedeutend einfacher, Geld auszugeben, wenn man es auch wirklich hat.

Hinweis: Grafik ohne Stadt Zürich. (Daten: Statistisches Amt Kanton Zürich)

Gerade in der Peripherie finden sich einige der weniger finanzstarken Gemeinden. Könnte es demnach sein, dass diese Gemeinden nicht weniger ausgeben für Tagesstrukturen, weil sie andere Familien- und Betreuungsmodelle vorziehen, sondern weil sie schlicht nicht die finanziellen Mittel dazu haben?

«Von der Gemeindekultur her sind Tagesstrukturen oft ein Nice-to-have», meint Trachsel dazu. Das sei verständlich, es gebe viele Ausgabenposten, die dringender und wichtiger erschienen.  Die einkommensschwachen Gemeinden sähen jedoch nur die Investitionen, nicht den zukünftigen Ertrag, denn Trachsel ist überzeugt, dass sich Tagesstrukturen auf lange Sicht lohnen. «Gleichstellung macht man, wenn man es sich leisten kann», ist ihr Fazit.

Ganz so einfach ist das mit dem Zusammenhang zwischen der Steuerkraft pro Kopf und Ausgaben für Kinderbetreuung dann allerdings bei genauerer Betrachtung nicht. Der Verlauf der Kurve wird stark durch besonders finanzstarken Gemeinden wie Herrliberg, Küsnacht oder Rüschlikon beeinflusst, die viel für Tagesstrukturen ausgeben. Betrachtet man dagegen nur die Gemeinden mit einer Steuerkraft pro Kopf von unter 5000 Fr., ist der Zusammenhang viel weniger deutlich und die Ausgaben streuen stark. Dass es auch möglich ist, ohne Steuerkraft auf dem Niveau der Goldküstengemeinden Geld zu finden für Kinderbetreuung, zeigen da einmal mehr Adlikon und Dättlikon.  Das Sprichwort «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg» scheint wohl auch für die Finanzierung von Betreuungsstrukturen zu gelten.

Daten, Methoden und Validität
Die Daten stammen vom statistischen Amt des Kanton Zürich und sind über das Gemeindefinanzporträt respektive das Gemeindeporträt frei zugänglich. Mit Schulkindern sind sind in diesem Beitrag Kinder gemeint, für die von der Verpflichtung durch den Kanton ein Angebot bestehen sollte. Sprich: Kindergarten- und Primarschulkinder.
Die Ausgaben für Tagesstrukturen werden eigentlich auf Stufe der Schulgemeinden erfasst, vom Kanton jedoch auf die politischen Gemeinden aggregiert bereitgestellt. Beim Übertragen auf andere Gemeindeebenen können vermutlich Ungenauigkeiten entstehen. Sowohl Aufwand, Ertrag, als auch Saldo der Gemeinden für Tagesstrukturen ist in den verfügbaren Daten aufgeführt. Für die vorliegenden Analysen wurden die Saldi verwendet. Diese schwanken in gewissen Gemeinden von Jahr zu Jahr stark, die Gründe dafür liessen sich im Rahme dieses Projektes nicht eruieren. Um die Schwankungen abzufedern, werden Durchschnittswerte über mehrere Jahre verglichen.
Für einige politische Gemeinden fehlen die Angaben zu den Ausgaben für Tagesstrukturen, wie durch die grauen Flächen auf der interaktiven Karte „Durchschnittliche jährliche Ausgaben für Tagesstrukturen“ deutlich wird.
Die vorliegende Auswertung ist hauptsächlich deskriptiver Natur und keine abschliessende statistische Analyse. Die aufgezeigten Zusammenhänge sind deshalb nicht als finale Antworten zu verstehen, sondern als erste Beobachtungen und der Versuch einer breiteren Kontextualisierung. Viele weitere Faktoren beeinflussen vermutlich, wie viel Geld Gemeinden für Tagesstrukturen auszugeben gewillt sind. Zudem muss man sich bewusst sein: Ausgaben sind zwar ein Indikator für die Qualität und Quantität des Betreuungsangebot, doch Geld alleine sorgt noch nicht für eine gute Kinderbetreuung. Die hier besprochenen Trends sind jedoch recht deutlich und so ähnlich auch beispielsweise bei der Erhebung des Betreuungsindex des Kanton Zürich besprochen worden.

Bloginformationen
Titel: Wo am meisten für Tagesstrukturen ausgegeben wird
Autor: Jonas Glatthard
Email: jonas.glatthard@uzh.ch
Matrikelnr.: 15-709-652
Abgabedatum: 6.01.2018
Vorlesung: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus (HS18)
Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Alexandra Kohler, Dr. Bruno Wüest
Anzahl Worte: 860 (exkl. Lead, Bildbeschriebe, Anhänge und Quellenverzeichnis)

Quellen
Cattani, Andrea (2018): „Kita-Kinder haben einen tieferen IQ“. Blick, 11.12.2018. (https://www.blick.ch/news/schweiz/ex-nationalrat-toni-bortoluzzi-flutet-briefkaesten-mit-konservativen-flyern-kita-kinder-haben-einen-tieferen-iq-id15064080.html [6.1.18])
Volksschulamt Kanton Zürich: Tagesstrukturen. (https://vsa.zh.ch/internet/bildungsdirektion/vsa/de/schulbetrieb_und_unterricht/fuehrung_und_organisation/tagesstrukturen.html [6.1.18])
Schul- und Sportdepartement Stadt Zürch: Tagesschule 2025. (https://www.stadt-zuerich.ch/ssd/de/index/volksschule/tagesschule2025.html [6.1.18])
Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kanton Zürich (2009): Familienergänzende Kinderbetreuung im Kanton Zürich. Zürich: Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann.

 

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