Alte konservative und junge Revoluzzer

Jungpolitiker werden oft als Rebellen und Idealisten abgestempelt. Die Analyse der Tweets von Jung-und Altpolitiker zeigt, dass dieses Vorurteil einen Hauch an Wahrheit beinhaltet.

„Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand.“ So lautet das altbekannte Zitat. Der Jugend wird oft ein Drang zum Idealismus und Fanatismus zugesprochen. So haben auch Jungpolitiker oft den Ruf rebellischer zu sein als ihre älteren Parteigenossen. Beispiele von jungen politischen „Rebellen“ lassen sich in allen Ländern und zu allen Zeiten in der Geschichte finden. Beispielsweise der 28-jähriger Arzt namens Che Guevarra, der zum Guerrillaführer der kubanischen Revolution wurde und beim Umsturz des Batista-Regimes mithalf. Des weiteren war es die damals 26-jährige ägyptische Aktivistin Asmaa Mahfouz, die als Mitbegründerin der Jugendbewegung vom 6. Mai massgeblich an den Protesten beteiligt war, die den Anstoss der ägyptische Revolution 2011 begründeten. Auch die heutige Generation besitzt mit Greta Thunberg, der 17-jährigen Begründerin der „Fridays For Future“ Bewegung, eine prominente politische Aktivistin.

Die Sprache vieler Jugendbewegungen mündet meist in Protestmärschen. Der Hauptgrund hierfür ist, dass politische Machtpositionen in vielen Ländern von den älteren Generationen beansprucht werden. Auch in der Schweiz wird die Politik durch die älteren Semester bestimmt. Gemäss Statistiken zu den Ratsmitglieder der Bundesversammlung liegt das Durchschnittsalter im Nationalrat bei 49 Jahren, im Ständerat sogar bei 54 Jahren. Insgesamt waren gerade 18 Parlamentsmitglieder, oder 7.3 % der Bundesversammlung, zwischen 25 und 35 Jahre. Im Vergleich hierzu zählten im Jahre 2018 14% der gesamten Schweizer Bevölkerung zu der gleichen Altersklasse.

Dennoch haben Jugendliche in der Schweiz, im Vergleich zu anderen Ländern, dank den direktdemokratischen Instrumenten der Initiative und des Referendums erhebliche Möglichkeiten einen Einfluss auf die politischen Geschehnisse zu nehmen. Es lohnt sich für Schweizer Jugendliche deshalb, trotz fehlender Repräsentation in der Bundesversammlung, mittels Jungparteien an der politischen Entscheidungsfindung teilzunehmen.

Es stellt sich somit die Frage, ob Schweizer Jungpolitiker wirklich die radikaleren Forderungen von Protestbewegungen aufnehmen und diese in der politischen Arena vertreten? Eine Gegenüberstellung der Themen über welche diese zwei Gruppen getwittert haben, ermöglicht es herauszufinden, ob jüngere Politiker sich tatsächlich stärker mit jenen Anliegen beschäftigen welche durch Jugend- und Protestbewegungen gefordert werden.

Die politische Agenda

Wenn wir auf die politischen Ereignisse des Jahres 2019 zurückblicken dann wird ersichtlich, dass das letzte Jahr im Zeichen der Protestbewegungen stand. Gemäss SRF fanden 170 Klimastreiks in der Schweiz statt. Zudem gingen beim Frauenstreik vom 14 Juni hunderttausende auf die Strasse, um für Gleichstellung zu protestieren. Die Themen des Klimaschutzes und der Gleichstellung waren auch jene Themen, die bei den Nationalratswahlen im Mittelpunkt standen. Auch das Verhältnis der Schweiz zur EU und das Rahmenabkommen führten letztes Jahr wieder zu hitzigen Diskussionen, welche im Referendum zur Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie im Schweizer Waffenrecht mündeten.

Einwanderungsthemen waren im Gegensatz zu den anderen Themen weit weniger präsent. Es lohnt sich dennoch auch dieses Thema in den Vergleich miteinzubeziehen, da Einwanderungsthemen, neben der EU-Thematik, zu den traditionellen politischen Anliegen von Altpolitiker zählen.

Jung- und Altpolitiker im Vergleich

Ein Blick auf die aggregierte Themenverteilung zeigt, dass die Themen Klima und Gleichstellungsfragen sich unter den Hauptanliegen von Alt- sowie Jungpolitiker finden lassen. Erkennbar ist, dass Jungpolitiker deutlich mehr über Themen des Klimaschutzes getwittert haben. Bei der Thematik zu den Gleichstellungsfragen gibt es jedoch keinen deutlichen Unterschied zwischen den zwei Gruppen. Dies ist nicht überraschend. Während die Klimadebatte mehrheitlich durch Jugendbewegungen geführt wird, ist die Frauenrechtsbewegung viel heterogener organisiert. Die Schweizer Frauenrechtsbewegung, wie wir sie heute kennen, entstand nicht erst durch die #Me-Too Bewegung, sondern wurde durch diese erneut entflammt. Bereits am 14. Juni 1991 liefen 500’000 Schweizer Frauen auf die Strasse, um für Gleichstellung und gegen sexuelle Belästigungen zu protestieren. Jene Feministinnen, die schon damals für eine gerechtere Gesellschaft kämpften, stehen heute Seite an Seite mit der neuen Generation von Frauenrechtlern.

Die EU-Thematik fand bei den Jungpolitiker weitaus weniger Beachtung. Das zentrale EU-Thema des letzten Jahres drehte sich vor allem um die Waffenrechtsdebatte. Dieses Thema war vor allem für Mitglieder von Schiessvereinen, Waffenbesitzer und rechte Politiker ein polarisierendes Thema. Obwohl das Waffenrecht auch durch Operation Libero thematisiert wurde, hat es allem Anschein nach die Interessen der Jungpolitiker und ihren Wählern weniger tangiert und war deshalb von geringerer Bedeutung.

Des weiteren haben sich Jungpolitiker in etwa gleichermassen mit Einwanderungs- und Asylfragen beschäftigt wie Altpolitiker. Jedoch gilt es zu beachten, dass anhand der Themenverteilung nur Rückschlüsse über die relative Wichtigkeit der Themen gezogen werden können. Es können keine Aussagen getroffen werden, wie sich Jugendliche zu den einzelnen Themen geäussert haben. Somit könnte es durchaus sein, dass sich Jungpolitiker positiv zu Einwanderungsthemen geäussert haben und die vergleichbare relative Häufigkeit zwischen Jung- und Altpolitiker nur auf den allgemeinen öffentlichen Diskurs über diese Themen zurückzuführen ist.

Wenn wir uns nun die Themenverteilung nach Parteigruppen anschauen, sehen wir, dass Altpolitiker auch innerhalb der Parteigruppen öfter über das Thema EU getwittert haben als Jungpolitiker. Vor allem ältere Rechts- und Mittepolitiker haben sich deutlich mehr über Einwanderungs- und EU Themen geäussert. Im Gegensatz hierzu haben Jungpolitiker sich am meisten über das Klima geäussert. Es waren vor allem Links- und junge Mittepolitiker welche am häufigsten über das Klima getwittert haben, während Gleichstellungsfragen vor allem von Linkspolitiker behandelt wurden.

Männer und Frauen im Vergleich

Wie schon zuvor erwähnt spielten die Themen zu den Geschlechterfragen und dem Klima im letzten Jahr eine wichtige Rolle in der politischen Agenda. Bei der Thematisierung dieser Themen beteiligten sich viele Frauen dabei die Anliegen dieser Bewegungen in der Öffentlichkeit und der Politik zu repräsentierten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es auch zwischen den Geschlechtern Unterschiede in der Themenverteilung gibt. Wir werfen deshalb, zu guter Letzt, einen Blick auf die nach Geschlechtern aufgegliederte Themenverteilung. Man sieht, dass Jungpolitikerinnen sich am meisten mit den Themen der Protestbewegungen – Klima und Gleichstellung – auseinandergesetzt haben. Gleichstellungsfragen waren vor allem bei Politikerinnen hoch im Kurs, während männliche Jungpolitiker sich vor allem mit der Klimadebatte beschäftigten. Konträr dazu fanden die Anliegen der Protestbewegungen bei den Altpolitiker am wenigsten Beachtung. Zusätzliche waren es beim EU- und Einwanderungsthema männliche Politiker, welche sich vermehrt über diese zwei Themen geäussert haben, während diese Themen bei den Politikerinnen eine untergeordnete Rolle spielten.

Wenn wir nun zurück zur Frage kehren, ob Jungpolitiker und -politikerinnen rebellischer sind als ihre älteren Parteikollegen und -kolleginnen, kommen wir zum Entschluss, dass Jungpolitiker und allen voran linke Jungpolitiker, die Anliegen der Protestbewegungen am stärksten thematisiert haben. Es waren aber vor allem Jungpolitikerinnen, welche sich auf Twitter am meisten über Gleichstellung und Klima geäussert haben und sich als die Rebellinnen unter den Politkern betrachten dürfen.

Informationen zum Blog:
Blogbeitrag im Rahmen des Forschungsseminars «Politischer Datenjournalismus» (FS 2020)

Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Theresa Gessler, Alexandra Kohler

Verfasser: Yanik Kipfer|Matr. Nr. 10-706-117| kipferyanik@gmail.com

Abgabedatum: 30.06.2020

Anzahl Wörter: 986

Selbstständigkeitserklärung

Daten,Vorgehen und Validität
Die Twitterdaten der Schweizer Politiker wurden vom Digital Democracy Lab bereitgestellt und umfassen den Zeitraum vom Januar bis Oktober
2019. Die Daten wurden mit dem Statistikprogramm R ausgewertet.
Um die verschiedenen Themen innerhalb der Tweets zu eruieren, wurden Wörterbücher erstellt, welche die Themen anhand des Aufkommens von spezifischen Wörtern in
einem Tweet identifizieren. Beispielsweise wurde das Thema Klima
anhand der Wörter und Wortstämme „klima*„, „umwelt*“, „treibhaus*“,
„climate“, „clima“, „ambiente“, „climat“, „environnement“ erkannt. Tweets welches diese Wörter und Wortstämme aufwiesen wurden als Klimathemen klassifiziert.
Es wurden nur Politiker aus den Parteien der SVP, FDP, GLP, BDP, CVP, EVP, SP und Grüne analysiert, wobei SVP und FDP in die Gruppe
der Rechtspolitiker, GLP, BDP, CVP und EVP in die Gruppe der
Mittepolitiker und SP und Grüne in die Gruppe der Linkspolitiker
gruppiert wurden. Ob ein Politiker als Alt- oder Jungpolitiker
kategorisiert wurde, war abhängig davon, ob er einer Jungpartei
zugehört oder nicht.
Darüber hinaus wurde für den Vergleich zwischen den Geschlechtern,
die Jung- und Altpolitiker nach Männer und Frauen unterschieden.
Ein Schwachpunkt dieser Analyse ist, dass sie nichts darüber aussagt,
ob sich die Politiker positiv oder negativ zu den einzelnen Themen
geäussert haben. Somit können wir nicht ausschliessen, dass ein Teil der
Jungpolitiker sich negativ zu den Themen der Protestbewegungen
geäussert haben und diese eigentlich aus der „Rebellengruppe“
ausgeschlossen werden müssten.

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