Die weggefallene Fremdbetreuung im Shutdown machte Schweizer Eltern zu schaffen

Geschlossene Schulen und Kitas haben bei vielen Schweizer Eltern zu einer Doppelbelastung geführt. Erwerbstätige Mütter haben besonders oft Druck verspürt und mussten aufgrund der zu leistenden Betreuung ihre Erwerbsarbeit hintenanstellen.

Am 25. Februar bestätigte das BAG in einer Pressemitteilung den ersten Schweizer COVID-19-Fall. Danach nahm die Anzahl Infizierter stetig zu, Regierungen weltweit beschlossen harte Massnahmen gegen die Ausbreitung des Virus. Am 13. März verbot der Bundesrat, als eine der ersten nationalen Massnahmen, Präsenzunterricht an Schulen. Schülerinnen und Schüler sollten fortan von zu Hause aus unterrichtet werden. Am 16. März wurde schliesslich der Shutdown beschlossen.

Eltern in der Doppelbelastung

Für Eltern bedeutete die Schulschliessung, dass sie zur veränderten Arbeitssituation mit Homeoffice, Kurzarbeit und veränderter Auftragslage auch noch die ansonsten externe Kinderbetreuung und den Schulunterricht übernehmen mussten. Bereits nach einer Woche ohne externe Kinderbetreuung schienen Müttern die Veränderungen und die verordneten Massnahmen öfters zuzusetzen, als Vätern. Über die Hälfte der Väter haben keine Veränderung ihres Wohlbefindens verspürt, bei den Müttern waren es nur rund 45 Prozent, die keine Veränderung bemerkten. Ungefähr bei der Hälfte aller Mütter wirkten sich die Massnahmen negativ auf ihre Grundstimmung aus. Bei den Vätern gaben nur gut ein Drittel an, eine negative Stimmungsveränderung zu spüren. Mütter wurden von den Massnahmen insgesamt mehr getroffen.

Schon vor der Coronapandemie war die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung für berufstätige Mütter in der Schweiz schwer zu erreichen. Dieser Trend hat sich durch die Coronakrise verschärft.

Eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen?

Generell war die Überforderung mangels externer Kinderbetreuung während dem Shutdown gross. Etwa 40% aller Eltern gaben an, damit überfordert zu sein. Inwieweit ein reaktionäres Familienbild und traditionelle Geschlechterrollen durch die Krise und die verordneten Massnahmen gefördert werden, können die hier verwendeten Daten nicht aufzeigen, Tendenzen zeichnen sich aber ab. So waren Eltern, die neben der Kinderbetreuung keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, sowie selbstständige und Vollzeit arbeitende Väter, seltener überfordert. Von allen Müttern kamen Hausfrauen am besten mit den neuen Belastungen zurecht. Abgesehen von Hausmännern, die in der Schweiz sehr rar sind, wurden Väter mit traditionellem Vollzeitpensum und Selbstständige von allen Vätern am wenigsten belastet. Hingegen kamen Väter, die generell oder wegen Kurzarbeit keine Vollzeitstelle besassen, öfter an ihre Belastungsgrenzen. Eltern, die sich in traditionellen Rollenbildern bewegen, haben die weggefallene, externe Kinderbetreuung weniger gespürt als andere Eltern.

Besorgniserregend ist die Tatsache, dass vor allem Mütter ihre Arbeitszeit reduziert haben, um sich um die Kinder zu kümmern. Selbständig erwerbende Mütter gaben von allen erwerbstätigen Müttern am seltensten an, überfordert zu sein. Gleichzeitig gaben über 45 Prozent dieser Gruppe an, dass ihnen wegen der Kinderbetreuung weniger Zeit für die Arbeit blieb. Das könnte unter anderem daran liegen, dass die Selbständigkeit ein flexibleres Arbeitspensum erlaubt, wodurch selbständige Mütter die extreme Doppelbelastung abfedern konnten. Auch Vollzeit arbeitende Mütter und Mütter in Kurzarbeit nutzen eher einen Teil ihrer Erwerbsarbeitszeit für die Kinderbetreuung als Väter in einer vergleichbaren Erwerbssituation. Die feministische Ökonomin Mascha Madörin erklärt diese Ungleichverteilung von Kinderbetreuung zwischen Männern und Frauen so, dass Pflege- und Betreuungsarbeit in Notlagen als Erpressung fungieren kann. Die Betreuungsarbeit besteht und sie muss von jemandem geleistet werden. Madörin zufolge sind Frauen in solchen Situationen leichter erpressbar als Männer. Sie übernehmen deshalb in der Krise Grossteile der Arbeit. Das ist ein Problem, denn erwerbstätige Mütter verpassen durch die reduzierte Arbeitszeit wichtige Arbeitserfahrung, die ihre männlichen Kollegen und Frauen ohne Kinder sammeln und nach der Krise einsetzen können. Die unfreiwillige Reduktion wirf die Mütter auf dem Arbeitsmarkt noch weiter zurück.

Arbeiten neben dem Kinderzimmer

Seit März 2020 arbeiten viele Arbeitnehmende teilweise oder sogar Vollzeit von zu Hause aus. Das Homeoffice hat die Arbeitswelt im letzten Jahr auf den Kopf gestellt. Programme für Videokonferenzen wurden zu einem wichtigen Arbeitstool und viele Städte kämpfen mit leerstehenden Büroimmobilien. Wenn das Wohnzimmer als Büro fungiert, verschwenden Erwerbstätige weniger Zeit auf dem Arbeitsweg, ausserdem ermöglicht die Arbeit von zu Hause eine neue Art der Autonomie. Arbeitnehmende können ihr Arbeitsleben endlich an ihrem sozialen Leben ausrichten und nicht andersrum. Doch wie gut funktioniert das, wenn man neben dem Kinderzimmer arbeitet?

Eltern, die Homeoffice machten, waren generell öfter überfordert, als Eltern, die kein Homeoffice machten. Bei Müttern wird der Effekt verstärkt; fast die Hälfte aller Mütter, die ihre Arbeitszeit teilweise oder Vollzeit im Homeoffice verbrachten, empfand die Kinderbetreuung als überfordernd. Ausserdem gaben fast 45 Prozent aller Mütter im Homeoffice an, weniger Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung gehabt zu haben. Für Mütter bedeutet Homeoffice unter Umständen nicht mehr Autonomie, sondern eine Mehrbelastung durch die Zweiteilung zwischen den Rollen der professionellen Geschäftsfrau und der sorgenden Mutter. Mehr als 35 Prozent der Väter, die von zu Hause aus arbeiteten, bemerkten, dass sie durch die zusätzliche Kinderbetreuung weniger Zeit für ihre Arbeit hatten. Homeoffice könnte also auch zu mehr Gleichstellung in der Familie führen.

Keine Verbesserung in Sicht

Der Shutdown und die Schulschliessung haben viele Eltern getroffen, Mütter waren von den Folgen stärker getroffen als Väter. Das liegt daran, dass die Pandemie vorherrschende Ungleichheiten verstärkt. Zum Glück öffneten die Schulen ab dem 11. Mai nach und nach wieder. Ausgestanden ist die Situation für Eltern aber noch nicht. Schulschliessungen sind einer neuen Studie zufolge ein wirksames Mittel gegen die Ausbreitung des Virus. Die Forschenden halten fest, dass bei Kindern und Jugendlichen genauso häufig Antikörper gegen das Virus im Blut gefunden wurden, wie bei Erwachsenen. Unklar ist, ob Schulschliessungen erfolgreich sind, weil die Kinder sich untereinander weniger anstecken oder weil die Eltern weniger das Haus verlassen, wenn sie ihre Kinder zu Hause betreuen.

In der Schweiz sind weitere Schulschliessungen, sowohl lokal aufgrund einzelner Fälle sowie national wegen ansteigender Fallzahlen und hoher Auslastung der Krankenhäuser auch im Jahr 2021 nicht auszuschliessen. Doch die schweizerische Impfstrategie lässt Eltern und Schulen erst einmal im Stich. Es ist noch nicht absehbar, wann der erwerbstätige Teil der Bevölkerung sich impfen lassen darf, für Kinder unter 16 Jahren ist der bisher zugelassene Impfstoff nicht erforscht. Nicht einmal Lehrpersonen haben Zugang zu einer früheren Impfung.

Massnahmen gegen die COVID-19 Pandemie sind nötig, externe Kinderbetreuung zum Schutz von Familien und als Antreiber für die Gleichstellung von Mann und Frau allerdings auch. Der Bundesrat hat anlässlich einer Parlamentsdebatte zur Gleichstellung in der Coronakrise im Juni 2020 entschieden, dass keine weiteren Massnahmen zur Abfederung der gestiegenen Betreuungslast nötig sind, vielleicht wäre es gut, die Massnahmen für die zweite und womöglich dritte Pandemiewelle nochmals zu überdenken.

Informationen zum Blogbeitrag

Verfasserin: Felicia Mändli
Matrikel Nr.: 15-734-460
Kontakt: felicia.maendli@uzh.ch

Abgabedatum: 03.01.2021
Anzahl Worte: 1004

Modul: Vorbereitung zum Forschungsseminars «Politischer Datenjournalismus» (HS 2020)
Verantwortliche: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Alexandra Kohler, Bruno Wüest

Selbständigkeitserklärung

Quellen
Die verwendeten Daten stammen aus dem Corona-Monitor der Forschungsstelle sotomo. Die Teilnehmenden wurden durch das Online-Panel von sotomo sowie über die Webseite des SRF dazu aufgefordert, an der schriftlichen Befragung teilzunehmen. Die hier verwendeten Daten wurden am 21.-23. März (N = 30’460,  +/-1,1 Prozentpunkten) und 3.-6. April (N = 29‘891 , +/-1,2 Prozentpunkten) gesammelt und bilden die Befindlichkeit der schweizerischen Bevölkerung während des ersten Shutdown ab.

Konstruktion der Fragen
Die verwendeten Daten für die Untersuchung der Belastung durch Kinderbetreuung und der fehlenden Arbeitskapazität wegen der Betreuungspflicht und Homeschooling sind unverändert aus den Daten übernommen worden.

Für die Veränderung des Wohlbefindens wurde ein Index konstruiert aus den Fragen «Wie ging es Ihnen vor Beginn der Corona-Krise?» und «Wie geht es Ihnen zurzeit?». Die Teilnehmenden konnten jeweils einen Wert von 1 bis 5 angeben, wobei 1 bedeutet, dass es der Person ganz schlecht geht und 5, dass es der Person sehr gut geht. Für den Index wurde der Wert nach den Schulschliessungen und dem Shutdown vom Wert vor der Krise subtrahiert.

Analyse
Um spezifisch die Probleme der Eltern abbilden zu können, wurde in dieser Analyse nur die Daten von Menschen ausgesucht, die in einem Familienhaushalt leben und mit mindestens einer Person unter 16 Jahren zusammenleben.

Aus Gründen der Darstellung und Aussagekraft wurden die Extreme des Masses für die Veränderung des Wohlbefindens zusammengerechnet, somit wurden aus 9 Kategorien 7 Kategorien für die Veränderung des Wohlbefindens im Shutdown. Auch wurde für diese Untersuchung nur die erste Antwortwelle im März berücksichtigt.

Für die Analyse nach Erwerbssituation wurden die Antwortmöglichkeiten «In Ausbildung / Studium», «Pensioniert / IV», «Arbeitslos / Stellensuchend» und «Andere» weggelassen, um einen Fokus auf erwerbsstätige Eltern und Hausfrauen/Hausmänner zu legen. Die Antworten von Selbstständigen wurden nur in der ersten Umfragewelle im März, die von Kurzarbeitenden nur in der zweiten Welle im April angefragt. Deswegen beziehen sich die Daten dieser beiden Gruppen jeweils nur auf einen Zeitpunkt. Als Vollzeit gilt ein Pensum von 80-100 Prozent, alle Pensen unter 80 Prozent gelten als Teilzeitarbeit.

Der Code zur Analyse kann hier eingesehen werden.

Bild von Chuck Underwood auf Pixabay

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .