So werden Frauen im Journalismus in der Schweiz diskriminiert

Frauen sind in der Schweizer Medienlandschaft sowohl als Schreibende, als auch Beschriebene untervertreten. Diese Analyse sucht mit aktuellen Daten nach Gründen- und zeigt bei welchen Medienhäusern die Situation besonders prekär ist.

Die Schweizer Medienlandschaft hat ein Problem mit der Gleichberechtigung der Geschlechter. Diesen Sommer konnte man wieder pünktlich zur Veröffentlichung des «Jahrbuch Qualität der Medien» vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich1 , bei diversen Medien die Schlagzeilen lesen, dass immer noch zu wenig über Frauen berichtet würde. Die jährliche erscheinende Studie widmete einen ganzen Abschnitt dem Thema der Repräsentation der Frauen in den Medien. Fazit: Je nach Ressort sind Frauen etwas schlechter oder sehr schlecht repräsentiert.

Aber auch in der Berufsgattung des Journalismus sind Frauen nicht gleich oft vertreten und auch sonst nicht gleichberechtigt wie ihre männlichen Kollegen. Der Schweizer Bericht des «Global Media Monitoring Project» (GMMP) hat dazu 2020 aktuelle Daten erhoben2. In ihrem Sample von 669 Beiträgen in Radio, TV, Online und im Print waren nur 39% von Frauen erstellt. Diese Daten decken sich mit einer Studie der ZHAW3, die 2015 einen Frauenanteil von 38.5% unter den Journalist:innen mass. Das GMMP hat zudem gemessen, in wie vielen Artikeln über Frauen berichtet wurde. Auch hier waren die Frauen untervertreten.

Grafik 1
Grafik 2

Dies ist problematisch, denn Journalismus hat, besonders in einer direkten Demokratie wie der Schweiz, eine repräsentative Rolle zu erfüllen, er hat grossen Einfluss auf das Agenda Setting und Framing von Themata. Nicht umsonst gibt es das geflügelte Wort der «vierten Gewalt», eine ausgeglichene Berichterstattung wäre deshalb elementar. Das Problem der Unterrepräsentation von Frauen ist schon lange bekannt, die Zahlen ändern sich nur schleichend. In einigen Medienunternehmen wurden in den letzten Jahren Initiativen gestartet, um ihre Beiträge ausgeglichener zu gestalten, so zum Beispiel das Projekt «Chance 50:50» bei der SRG4 oder der «Equal Voive Factor» bei Ringier5, welcher mit Hilfe eines Algorithmus Daten für den internen Gebrauch erhebt.

Die Wissenschaft hat mehrere Hypothesen für den bestehenden Geschlechterunterschied

Welche Faktoren beeinflussen diese Repräsentation und wer kann daran etwas ändern? In der Wissenschaft gibt es verschiedenen Erklärungsansätze: Wie auch in anderen Berufssparten, existiert die Theorie des «Glass Ceiling»6, welche besagt, dass Frauen ab einer gewissen Stufe kaum mehr aufsteigen können und somit die mächtigen Führungspositionen nicht besetzen, welche überhaupt die Kraft hätten, etwas zu verändern. Diese Hypothese setzt voraus, dass Frauen in Führungspositionen, andere Frauen stärker fördern als männliche Kollegen. Daneben gibt es auch Theorien, welche davon ausgehen, dass Frauen im Journalismus insgesamt anders berichten als Männer und deshalb ein höherer Anteil an Journalistinnen in einem Medienunternehmen, zu einem anderen, weiblicheren Journalismus führen würde. In einer der wenigen umfassenden Studien aus den USA wurde der Einfluss einer Veränderung des Frauenanteils in Medien in Form von Journalistinnen auf die Berichterstattung über Frauen jener Medien zwischen 2004 und 2009 gemessen7. Wichtigste Erkenntnis: Es wurde ein leichter positiver Effekt von mehr Frauen in den journalistischen Leitpositionen auf vermehrte, positive Berichterstattung über Frauen gefunden. 

Dem gegenüber stehen Theorien, welche das Problem eher in der Branche oder den Unternehmen als Gesamtheit sehen. Im Journalismus herrsche immer noch eine starke «Machokultur» bei welcher die durchsetzungsfähigsten und lautesten Personen gehört und befördert werden. Um erfolgreich zu sein, müssen sich auch Frauen daran anpassen und folglich bringen die Frauen, welche es in Führungspositionen schaffen, keine grossen Veränderungen8

Die Datenlage darüber, wie Frauen in der Schweiz über Frauen schreiben, ob sich die Qualität und Quantität unterscheidet, ist mager. In den Daten vom GMMP zeigte sich, dass sich zumindest die Häufigkeit der Berichterstattung über Frauen nicht stark zwischen dem Geschlecht der schreibenden Journalist:in zu unterscheiden scheint.


Grafik 3
Grafik 4

Journalistinnen setzen sich schon lange für mehr Gleichberechtigung ein

Obwohl genaue Daten fehlen, zeigen Initiativen von Journalistinnen in der Schweiz immer wieder, dass es eine Unzufriedenheit mit der Branche gibt. 2019 forderte das medienübergreifende Bündnis von «die Journalistinnen» «Publizistische Macht, Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Schutz vor Belästigung und kein Sexismus in der Berichterstattung»9. Der schwere Stand der Journalistinnen in der Schweiz wurde im März 2021 wieder einmal sichtbar, als 78 Angestellte von Tamedia in einem offenen Brief konkrete Verbesserungen in verschiedenen Bereichen forderten. Das zwölfseitige Dokument ist mit etlichen Beispielen ergänzt, welche von Alltagssexismus erzählen und thematisieren, auf wie viel Widerstand Journalistinnen stossen können, wenn sie «schon wieder über Frauenthemen» schreiben möchten10.

In welchen Medien, wie viele Beiträge vor Journalistinnen geschrieben wurden und in wie viel Frauen erwähnt werden, ist in der nachfolgenden Grafik illustriert. Zusätzlich wurden die Daten auch nach publizistischen Verlagen geordnet, um sehen zu können, welchen Einfluss das Betriebsklima auf die Möglichkeiten der Berichterstattung hat.

Grafik 5
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Tatsächlich ist in den analysierten Daten die TX Group (Tamedia) einer der Medienhäuser mit dem geringsten Anteil an Journalistinnen und gleichzeitig Berichten über Frauen. Die SRG hat als staatlich gestütztes Medienunternehmen mit Konzessionen besondere Erwartungen zu erfüllen, auch was die Gleichberechtigung und die ausgeglichene Berichterstattung angeht. Der Anteil an Journalistinnen ist vergleichsweise hoch, der entsprechende Wert der Frauen, über welche berichtet wird, ist immer noch tief. Hier muss angefügt werden, dass in den Daten viele News-Formate der SRG analysiert wurden und bei Themen wie Politik und Wirtschaft sind Frauen allgemein stärker untervertreten. Zu seiner seit 2019 laufenden Initiative «Chance 50:50» hat die SRG noch keine Zwischenergebnisse veröffentlicht. Ziel davon wäre es, den Anteil der Frauen in der Berichterstattung zu erhöhen, vor allem in den Feldern, in denen sie stark unterrepräsentiert sind. Die vorliegenden Daten geben keinen Hinweis darauf, dass die für die SRG- Journalist:innen freiwillige Initiative besonders grosse Erfolge zeigt.

Der Zusammenhang zwischen den Schreibenden und den Beschriebenen

In der Grafik oben wurde die Korrelation zwischen der Anzahl Journalistinnen und der Anzahl Frauen in den analysierten Artikeln nach Verlag mit einer blauen Linie illustriert. Es zeigt sich: Es gibt einen leichten positiven Zusammenhang. Dies kann darauf hinweisen, dass das allgemeine Arbeitsklima und auch der Anteil der Frauen in einem Medienverlag durchaus einen Einfluss darauf haben kann, wieviel dort über Frauen berichtet wird.

Um eine Gleichberechtigung in der Darstellung aber auch in der Journalismusbranche selbst zu erreichen, fehlt noch viel. Initiativen wie diese der SRG und Ringier sind ein Anfang. Jedoch ist einer der Argumentationen, die Ringier in ihren Werbespots für ihr Tool «Equal Voice Factor» erwähnt, dass dadurch «strenge Quoten» vermieden werden können. Zusätzlich zu einem Umdenken und mehr Achtsamkeit der Journalist:innen, wenn sie die Protagonist:innen ihrer Artikel wählen, braucht es auch in der Branche Gleichberechtigung, im Lohn, bei der Beförderungsstrategie und in der Behandlung der Kolleg:innen. Dies hört nicht mit dem Geschlecht auf, sondern ist ebenfalls wichtig bei zum Beispiel Migrationshintergrund, oder Bildungsgrad. Nur so kann eine repräsentative Berichterstattung als Grundlage für die Meinungsbildung in unserer direkten Demokratie gewährleistet werden.

Informationen

Name der Autorin: Judith Ebnöther

E-Mail: judithpilar.ebnoether@uzh.ch

Matrikelnummer: 17-715-350

Abgabedatum des Blogs: 02.01.2022

Name der Vorlesung: Vorbereitung zum Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus

Dozierende der Vorlesung: Theresa Gessler, Fabrizio Gilardi, Alexandra Kohler

Anzahl Worte: 1056

Methoden

Quellen: Die ausgewerteten Daten wurden im Rahmen des nationalen Berichts des Global Media Monitoring Projects 2020 erhoben und von der Fachstelle für Gleichberechtigung Zürich zur Verfügung gestellt. Es wurden darin 669 Beiträge von Online-Artikeln, Zeitungsartikeln, Radiobeiträgen, Fernsehbeiträgen und Tweets analysiert. Insgesamt umfasste das Datenset 2236 Datenpunkte. Für die Analyse der Verlage wurden die Informationen vom Medienmonitor Schweiz verwendet, um die Medienhäuser im Datenset des GMMP zu kategorisieren.

Analysen: Da die Datenlage bei der behandelten Thematik nicht besonders gut ist, mussten Daten verwendet werden, welche in einigen Punkten bezüglich der Validität kritisch zu sehen sind. Die analysierten Daten wurden an einem einzelnen Stichtag erhoben und der Fokus lag auf tagesaktuellem Journalismus und News. So ist das Sample verzerrt, weil in Wochenzeitungen oder Magazinen, welche im Datenset gar nicht repräsentiert sind, vielleicht für gewisse Themen mehr Platz gewesen wäre. Oft wird von Medien als Argument für die Unterrepräsentation von Frauen in ihren Beiträgen die Zeitknappheit genannt, diese ist im tagesaktuellen Journalismus besonders akut.

Die Daten wurden repräsentativ für die vier Sprachregionen erhoben, und es wurden in den jeweiligen Sprachregionen die reichweitenstärksten Medien analysiert. Viele Medien waren so jedoch nicht Teil des Samples. Besonders alternative Medienprodukte, welche andere Grundsätze und Businessmodelle verfolgen, wurden so nicht berücksichtigt. Da es aber um die repräsentative Aufgabe der Medien als wichtiger Teil der direkten Demokratie ging, sind die reichweitenstärksten Medien auch am relevantesten für die Analyse.

Um die Grafiken zu vereinfachen, wurden mit der Analyse die verschiedenen Publikationsplattformen von einem Medienhaus (Internet, Radio, Fernsehen, Print und Twitter) zusammen kodiert. Grundsätzlich entspricht dies auch der Entwicklung der Schweizer Medienbranche, weil Redaktionen immer öfters für mehrere Plattformen gleichzeitig produzieren und diese Grenzen immer mehr verschwinden. Die Praxis unterscheidet sich aber unter den einzelnen Medien, was in den Daten so nicht berücksichtigt wurde.

Mit den analysierten Daten war es nicht möglich, eine Kausalität nachzuweisen und so wurden die Daten nur auf ihre Korrelation untersucht. Da das Datenset relativ viele NA’s enthielt, waren die tatsächlich analysierten Samples teilweise relativ klein. Es wurde nicht untersucht, ob und wie zufällig die fehlenden Datenpunkte im Datenset auftraten.

Diese doch sehr wichtige Kritik an der Validität muss jedoch im Kontext gesehen werden. Das Thema hat eine, an vielen Beispielen im Artikel genannte, gesellschaftliche Signifikanz. Das Datenset des GMMP ist das einzige, welches sowohl das Geschlecht der Journalist:innen wie auch das der Personen die in den Beiträgen genannt wurden, enthält. Somit bieten sie einen guten Anfangspunkt, um ein wichtiges Thema zu analysieren und damit hoffentlich noch umfangreichere Analysen anzustiften.

Der ganze Code ist auf Github einsehbar: https://github.com/judithebnoether/djj-project-HS21.git

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